„Was ist eigentlich Euer Problem, das neue Programm ist doch super und macht alles viel einfacher?!“ So wundern sich IT-Projektleiter:innen, wenn sie ein neues IT-Tool zur Digitalisierung von Routineprozessen einführen und niemand ihre Begeisterung teilt. Im Gegenteil: Die Kolleg:innen sind verhalten, reagieren skeptisch oder boykottieren gar das neue System. Sie arbeiten weiter in ihren Excelsheets und suchen sich in ihrem Frust Verbündete. Auch der oder die ITler:in ist frustriert über die „Verweigerungshaltung“ der Kolleg:innen – dabei erwartet das Management schnellen, sichtbaren Fortschritt. Das Ergebnis: Allgemeine Unzufriedenheit, beide Seiten fühlen sich nicht verstanden, die Einführung des Tools wird vermutlich deutlich länger dauern als geplant oder nicht zum gewünschten Ergebnis führen.
So lassen Sie es „menscheln“
Diese und ähnliche Beispiele gibt es in Zeiten der digitalen Transformation, hybrider Arbeitsweisen und im Umgang mit Dauerkrisen in jedem Unternehmen zu genüge. Was läuft da immer wieder schief? Der wichtigste Faktor wird ausgeblendet: Der Mensch. Neben einer strukturierten Prozessorganisation braucht jedes Veränderungsvorhaben eine Kommunikation, die Mitarbeiter:innen mit ihren Ängsten und Bedürfnissen ernst und mit nimmt:
Orientierung geben. Nur wer versteht, warum die angestoßene Veränderung alternativlos ist, ist bereit, die eigene Comfortzone zu verlassen und sich zu bewegen. Hier hilft, eine überzeugende und verständliche Change-Story (Verlinkung) zu entwickeln. Mit einer klaren Vision, nachvollziehbaren Zielen und einem transparenten Plan mit konkreten Maßnahmen. Ein emotionales und bildhaftes Narrativ, das motiviert und die notwenige Sicherheit und Orientierung gibt, um sich auf das Neue einzulassen.
Offene Fragen klären. Unsicherheiten, Missverständnisse und Ängste sind die größten Blockierer von Veränderung. Suchen Sie das Gespräch mit jeder und jedem Einzelnen und fragen Sie nach, ob klar ist, worum es geht. Fragen Sie nach, was jede:r braucht, um mit den neuen Aufgaben und Prozessen Schritt zu halten. Hier eignen sich wöchentliche kurze Retros oder Clear-The-Air Meetings, in denen Probleme offen angesprochen werden.
Einbinden. Mitsprache und Mitgestaltung motiviert. Binden Sie Ihre Mitarbeiter:innen in den Prozess ein und ermöglichen Sie, aktiv den Veränderungsprozess mitzugestalten. Arbeiten Sie beispielsweise in den Teams an einer gemeinsamen Zielvision und an einem neuen Rollen- und Aufgabenverständnis, das die geänderten Rahmenbedingungen erfordern.
Dranbleiben. Seien Sie empathisch und lassen Sie niemandem im Prozess zurück. Werden Sie nicht müde, immer wieder das Gleiche zu erklären. Nicht alle haben das gleiche Tempo, manchen fällt es schwerer, jahrelange Gewohnheiten abzulegen.
Arbeiten mit dem House of Change Model
Eine gute Methode, um Mitarbeiter:innen oder ein Team eng und empathisch durch eine Veränderungs- und Krisensituation zu begleiten, ist das House of Change bzw. Räume der Veränderung Model des schwedischen Psychologen Claes F. Larsson. Larsson hat die bekannte Change-Kurve von Kübler Ross weiterentwickelt und beschreibt die emotionalen Zustände, die jeder Mensch in krisenartigen oder Umbruch-Situation durchläuft, nicht als Kurve, sondern als einen Weg durch vier Zimmer des „House of Change“. Der Weg ist für alle gleich, Abkürzungen gibt es nicht, nur das Tempo, wie schnell jemand in den nächsten Raum kommt, ist bei jedem unterschiedlich.
Jeder Raum steht für eine bestimmte Phase der Veränderung, beschreibt die vorherrschende Stimmungslage der Betroffenen. Mit der richtigen Ansprache können Sie als Führungskraft auf die unterschiedlichen Befindlichkeiten Ihrer Mitarbeiter:innen eingehen und verhindern, dass sie in einem Raum verharren oder in ein vorheriges Zimmer zurückgehen.
Raum 1: Das Zimmer der Zufriedenheit. Die Ruhe vor dem Sturm, alles ist unter Kontrolle, man setzt auf Bewährtes, Neues wird klein geredet. Erst wenn eine Veränderung, z.B. eine externe Krise, unausweichlich ist, kommt der Schock, und Verdrängung erscheint das Mittel der Wahl.
Unser Tipp: Als Führungskraft sollten Sie hier vor allem frühzeitig und ehrlich kommunizieren, die Notwendigkeit der Veränderung und die Konsequenzen für die tägliche Arbeit eines/r jeden Einzelnen zu erklären und Feedbackschleifen einbauen: Was ist angekommen, wo braucht es noch mehr Info?
Raum 2: Das Zimmer der Ablehnung. Die Erkenntnis ist da, aber noch nicht die Einsicht: Die neue Situation ist Realität, aber man versucht sie noch zu leugnen oder zu blockieren, die Suche nach Schuldigen beginnt, Wut und Angst sind die vorherrschenden Gefühle, Altbewährtes wird glorifiziert.
Unser Tipp: Als Führungskraft sollten Sie diese Gefühle ernst nehmen, Verständnis zeigen und den Abschied von liebgewonnen Gewohnheiten „zelebrieren“, aber auch Widerständen entschieden entgegentreten. Das bedeutet ggf. auch, sich von Extrem-Blockierern zu trennen, wenn diese ihre Komfortzone auch nach gegebener Zeit partout nicht verlassen wollen.
Raum 3: Das Zimmer der Verwirrung. Die Botschaft ist endgültig angekommen: Die Beteiligten haben verstanden, es gibt kein Zurück, der Abschied von Altbewährtem ist unumgänglich, gleichzeitig sind neue Prozesse noch nicht eingespielt. Chaos, Unsicherheit und Frust machen sich breit, und der Tiefpunkt des „Tals der Tränen“ ist erreicht. Nach und nach stellt sich Akzeptanz ein, und damit die Bereitschaft für das vierte Zimmer der Erneuerung.
Unser Tipp: Als Führungskraft sollten Sie in dieser Phase Orientierung und Sicherheit geben. Priorisieren Sie gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen Aufgaben, klären Sie Rollen und Aufgaben. Ganz wichtig: Feiern Sie erste Erfolge feiern und geben Sie Feedback. Fehler sind in dieser Phase völlig normal und gehören dazu. Eine gute Fehlerkultur spielt in diesem „Raum“ eine entscheidende Rolle.
Raum 4: Das Zimmer der Erneuerung. Endlich geht es bergauf: Verbesserungen werden spürbar, erste Pioniere schmieden Zukunftspläne, optimistisch richtet sich der Blick nach vorne. Aber Achtung: die einen fühlen sich gestärkt für zukünftige Herausforderungen, andere wiederum sind erschöpft und brauchen eine Phase der Regeneration, bevor das nächste (Change-)Projekt anrollt.
Unser Tipp: Als Führungskraft sollten Sie für Mitarbeiter:innen in dieser Phase ambitionierte Ziele stecken, viel loben, Kompetenzen stärken. Ermutigen Sie zu Eigeninitiative und fördern Sie den Austausch über Best-Practice. Sorgen Sie ausreichend für Phasen der Ruhe und Erholung.
Veränderung erlebbar machen, gegenseitiges Verständnis fördern
Als Führungskraft haben Sie in der Regel einen Wissensvorsprung. Sie haben sich vielleicht im Führungskreis schon länger mit dem Changeprojekt beschäftigt oder sind sogar der Initiator der Veränderung. Damit haben Sie bereits erfolgreich alle Räume des House of Change durchschritten, Sie befinden sich bereits im Raum der Erneuerung und sind voller Energie und Tatendrang, das Neue umzusetzen. Ihr Team ist aber dort noch lange nicht und nicht alle werden dort gleich schnell sein.
Das House of Change Model hilft Ihnen, die unterschiedlichen Bedürfnisse, Tempi und Emotionen Ihrer Mitarbeiter:innen zu verstehen. Changeprojekte erfordern Empathie, Verständnis und Wertschätzung. Und sie brauchen Zeit. Holen Sie sich professionelle externe Unterstützung, die sie durch diese anstrengende Phase begleitet. Wer diese Faktoren ernst nimmt, der wird seine Erfolgsquote bei Veränderungsvorhaben deutlich erhöhen.